Anne Scheller
Transfer von Konzepten für Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist zwischen dem Lateinischen und den mittelalterlichen Volkssprachen, insbesondere dem Altenglischen

Um 600 begann die Christianisierung
der heidnischen Angelsachsen durch römische und irische Missionare.
Um ihr Ziel zu erreichen, mussten sie die neue Religion den Menschen
verständlich machen, d. h. sie in altenglischer Sprache erklären.
Einer der zentralen Bereiche ist dabei der christliche Gott selbst.
500 Jahre später, gegen Ende der altenglischen Periode, hatte sich
ein religiöses Vokabular ausgebildet, das nicht weniger als 170 verschiedene
altenglische Bezeichnungen für Gott, Jesus Christus und den Heiligen
Geist kannte.
Meine Arbeit, die sich mit diesen Wörtern beschäftigt, verfolgt drei
Ziele. Zum einen geht es um formale Aspekte des Transfers. Nahezu
alle 170 Lexeme verdanken ihre Form und ihre Bedeutung sogenannten
indirekten Lehnverfahren. Das heißt, dass entweder bereits bestehende
altenglische Wörter mit einer neuen, christlichen Bedeutung versehen
wurden (Lehnbedeutung; Bsp.
god ‚Gott‘ nach lat.
deus) oder aber Wörter nach lateinischem Muster aus altenglischem
Sprachmaterial neu gebildet wurden (Lehnbildung; Bsp.
scīeppend ‚Schöpfer‘ nach lat.
creator). Auf Grundlage
einer Psalterglosse und mit lexikographischen Hilfsmitteln möchte
ich für alle Lexeme bestimmen, mit Hilfe welcher indirekten Lehnverfahren
sie in die altenglische Sprache Eingang fanden.
Weiterhin untersuche ich den Verlauf des Transfers. Dieser wird unterschieden
nach Motivation, Durchführung und Folgen der Übertragung der Konzepte
für Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist in der spezifischen
sprachlichen Form des indirekten Lehnguts. Es soll ermittelt werden,
warum von Gebern und Nehmern die indirekten Lehnverfahren gewählt
wurden, wie das indirekte Lehngut von den Nehmern aufgenommen wurde
und welche Auswirkungen der Transfer sowohl auf die angelsächsische
Welt als auch auf das Christentum hatte.
Zuletzt geht es ausblickshaft um die angelsächsische Mission im altsächsischen
und althochdeutschen Sprachraum. Die Frage ist, ob dort wie in England
indirekte Lehnverfahren verwendet wurden und ob ein Einfluss des Altenglischen
auf das Altsächsische und Althochdeutsche auszumachen ist.
Mit dieser Arbeit soll das Eindringen der Vorstellungen vom christlichen
Gott in die altenglische Sprache und Literatur untersucht werden.
Die Entwicklung dieser Konzepte macht die Beziehungen zwischen Sprache
und außersprachlicher Welt, zwischen heidnischen und christlichen
Vorstellungen deutlich und beleuchtet eine wichtige Transformation
in der englischen Kulturgeschichte – die Christianisierung der Angelsachsen -
vom Standpunkt der Sprache aus.
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